27 Oktober 2012 - 27 Januar 2013
Teilnahme an der Ausstellung
The Harwood Musuem of Art
Taos, New Mexico, USA
2012
MILIEU - All I have is my Distance
Single Channel HD Video
27 Oktober 2012 - 27 Januar 2013
Teilnahme an der Ausstellung
The Harwood Musuem of Art
Taos, New Mexico, USA
2012
MILIEU - All I have is my Distance
Single Channel HD Video
JJÖRG STAEGER / PROJECTS / MILIEU / HARWOOD MUSUEM OF ART / <
MILIEU - All I have is my distance
(single channel HD video)
„Das molekulare Material selber ist derartig deterritorialisiert, dass man nicht mehr, wie bei der romantischen Territorialität, von Ausdrucksmaterien sprechen kann. Die Ausdrucksmaterien machen einem Auffang- oder Vereinnahmungs-Material Platz. Und die zu vereinnahmenden Kräfte sind jetzt keine Kräfte der Erde mehr, die noch eine große expressive Form konstituieren, sondern sie sind heute Kräfte eines energetischen, formlosen und immateriellen Kosmos. […] Die postromantische Wende bestand darin, dass das Wesentliche nicht mehr in den Formen, Materien oder Themen enthalten war, sondern in den Kräften, in der Dichte und in der Intensität.“ (Deleuze/Guattari)
„Milieu“ betitelte Video- und Konzeptkünstler Jörg Staeger seine jüngste Arbeit. Allgemein definiert dieser Begriff die Gesamtheit der natürlichen und sozialen Lebensverhältnisse in einem System von Relationen und Kontexten unterschiedlicher Ausprägungen. Doch damit erschließt sich das Werk nur unzureichend.
Ausgangsbasis für die Arbeit des Künstlers war durchaus die Auseinandersetzung der Verhaltensforschung mit dem Prinzip der systemischen Abhängigkeiten von Individuum und Lebensraum, vom Verhältnis einzelner Faktoren untereinander und zum Ganzen, in dem ritualisiertes Verhalten einen besonderen Stellenwert einnimmt. Der Kerngedanke von Staegers „Milieu“ orientiert sich jedoch an der Rezeption dieser Forschungen, die in „1837, Zum Ritornell“ (in „Tausend Plateaus“) vom Philosophen Gilles Deleuze in Zusammenarbeit mit dem Psychiater und Psychoanalytiker Félix Guattari zu einer Neuformulierung des Milieu-Begriffs geführt hat.
„Das Gehirn lässt sich am besten beschreiben als ein komplexes System, das ständig danach strebt, in einen stabilen Zustand zu gelangen und dabei Ordnung aus Chaos erzeugt“
(Metzinger,Der Ego Tunnel)
Was als gewohnheitsmäßige Routine in Ritualen (z.B. Vogeltanz) sichtbar wird, ist für Deleuze und Guattari genuin ein rhythmisches Ereignis vor seiner Territorialisierung, d.h. in einem ephemeren Zustand absoluter Losgelassenheit. Milieu definieren die Autoren dabei als einen Block aus Raum und Zeit, der durch periodische Wiederholung der Komponenten gebildet wird. Milieus wechseln daher unentwegt, gehen ineinander über und sind offen fürs Chaos, heißt es dort. Das einzige Gegenmittel ist der Rhythmus, der wiederum mit dem Chaos einen Bereich teilt: Den Übergang zwischen den Zuständen, also den Raum zwischen zwei Milieus, in dem wechselseitige Codierung stattfindet. „Was mir gehört, ist in erster Linie mein Abstand, ich besitze nur Abstände.“ (Deleuze/Guattari)
Diesen Zwischenraum in der Balance aus Ordnung (Rhythmus) und Chaos setzt als Prinzip die Rauminstallation „Milieu“ von Jörg Staeger in Szene, weitgehend ohne dingliche Bindung und gänzlich ohne sprachliche Hilfskonstrukte, die in ihrer linearen Wortanreihung ohnehin nicht in der Lage sind, ein vielschichtiges System wiederzugeben. Und gerade wenn es sich um rhythmische Ereignisse handelt, sind audiovisuelle Möglichkeiten den sprachlichen weit überlegen. Zumal wenn Rhythmus und Ordnung als ein Prinzip der Abstände verstanden wird.
Projiziert werden keine reellen oder festgefügten Bilder. Es sind vordefinierte grafische Formen und Strukturen in Schwarzweiß, die vom Computer nach programmierten Regeln sichtbar generiert werden, gesteuert von den Sounds des Komponisten Markus Muench.
„Materie IV“ ist aber auch keine Komposition im klassischen Sinne. „Die Musik molekularisiert die Klangmaterie und kann auf diese Weise unhörbare Kräfte wie die Dauer oder die Intensität einfangen. Der Dauer einen Klang geben.“ (Deleuze/Guattari). Markus Muench greift in seiner etwa achtminütigen Komposition diese Gedanken analytisch auf. Fieldrecording-Klänge bzw. –Geräusche wurden hierzu mikrotonal zerlegt und in einen neu geordneten Zustand gebracht. Diese systemische Musik in 8-Kanal-Surround-Beschallung manipuliert mit ihren Impulsen die Bildmodellierung. Sie dient also der Beeinflussung der Bewegtbild-Sequenzen, die Ordnung und Chaos visualisieren und wiederum mit den Klängen zu einem erlebbaren Prinzip zusammenschmelzen. Zusatzreize sind dabei zur weitmöglichsten Deterritorialisierung auf ein Minimum reduziert.
© 2012 Jörg Staeger / Stills from „MILLIEU - All I have is my Distance“